Digitalisierung des Handels – Daten statt Cash
Dinge des täglichen Bedarfs einzukaufen, ist nicht jedermanns Leidenschaft. Und eine lange Kassenschlange kann die beste Vorbereitung und das disziplinierteste Hindurcheilen durch die Gänge schnell zur sinnlosen Mühe werden lassen.
Ein kurzer Blick in die Geschichte
Clarence Saunders war ein amerikanischer Kaufmann, der als erstes ein Selbstbedienungskonzept im Einzelhandel entwickelte und umsetzte. Ob auch in anderen Ländern oder Kontinenten derlei Ideen gleichzeitig oder später erdacht wurden, sei hier nicht weiter betrachtet. Jedenfalls ist der weltweite Siegeszug dieser Idee bekannt und hält bis heute an. Ältere unter uns kennen noch die (elektro-) mechanischen Registrierkassen, bei denen jedes Preisschild vom Personal gelesen, der entsprechende Preis eingetippt und nach Betätigen der Summentaste alles aufaddiert sowie auf einem Kassenbon ausgedruckt wurde. Scannerkassen, heute meist mit Waagen verbunden, brachten Innovations- und Rationalisierungsschübe (Zählwaagen in Baumärkten ebenfalls). Selbstbedienungskassen gehen einen Schritt weiter, müssen aber noch vom Personal überwacht werden.
Der erwähnte Mr. Saunders war mit einer 1937 umgesetzten Vision seiner Zeit weit voraus – gedanklich jedenfalls. Er erfand mit „Keydoozle“ [1] so etwas wie Automatisierung ohne Automaten. Kunden wählten ausgestellte Waren in gewünschter Menge aus, bekamen Lochstreifen, die – an der Kasse eingelesen und aufsummiert – den Förderbandtransport der jeweiligen Waren zur Mitnahme auslösten. So weit, so grob im Überblick. Entscheidender Mangel dieses an sich schon visionären Konzepts: Die Zusammenstellung der Einkäufe geschah hinter den Kulissen manuell – es gab halt keine Automaten. Diese personalintensiven Teilprozesse waren letztlich nicht wirtschaftlich, entsprechende Läden setzten sich nicht durch.
Zurück zur Gegenwart
Trotz der im geschichtlichen Rückblick erwähnten Beschleunigungen durch moderne Kassentechnik (plus bargeldloser Bezahlung) bleibt die Kassenschlange für viele ein Ärgernis.
Kassenloses Bezahlen …
… könnte die (rettende) Alternative sein. In den „Amazon Go“-Läden wird es praktiziert. Diese Läden im Format eines größeren Tankstellenshops gibt es in den USA schon einige Jahre. Jetzt soll nach oben skaliert, das heißt größere Märkte mit fast 1.000 qm Fläche sollen eröffnet werden. Offensichtlich traut der Konzern seiner Technik nun zu, größere Kundenströme zu kontrollieren. Soweit zur Einstimmung, das Netz hält eine Vielzahl von Informationen zum Thema bereit.
Hier ist ein eher nachgeordneter Gesichtspunkt von Interesse, der es aber in sich hat: Die Vermarktung der Technologie hinter diesem Konzept. Schon im letzten Jahr hieß es seitens Amazon, die Technologie des kassenlosen Einkaufs könnte auch anderen Einzelhändlern angeboten werden. Das war der t3n Anfang März 2020 ein paar analysierende Betrachtungen wert. Zitat:
Nicht ganz unwesentlich dürften zum Schluss die Möglichkeiten sein, die sich für Amazon durch die statistische Auswertung der Einkäufe ergeben könnten: So könnte Amazon die Umsätze bestimmter Produkte im stationären Einzelhandel für die eigene Sortimentsplanung ermitteln. Amazon selbst betont, dass nur die Daten erhoben werden, die für die Ausstellung der Rechnungsbelege erforderlich sind. [2]
Ein interessanter Gedanke: Durch ein (wahrscheinliches) Lizenzgebührenmodell – statt eines Kaufpreises für die Technologie – dürfte Amazon in die Lage versetzt werden, am potentiellen Wettbewerber mitzuverdienen, ganz so wie beim bekannten Amazon-Marktplatz. Nebenbei erweitert sich die Basis für die Reifung der Technik. Die Teilhabe an der Verarbeitung der Daten dürfte sich für den Lizenzgeber ganz sicher lohnen, egal, was an Beschränkungen der „Datenneugier“ vereinbart wird. Die anfallenden Datenmengen gehen ja weit über das hinaus, was „für die Ausstellung der Rechnungsbelege“ erforderlich ist. Jede Handhabung eines Artikels (aus dem Regal entnehmen und ggf. wieder zurückstellen) erzeugt Daten. Alle damit zusammenhängenden Zeiten lassen sich messen und mit allen anderen Daten (natürlich auch denen des zahlenden Kunden) verknüpfen. Und mit der Menge steigt der Wert. Damit wird ein weiteres Beispiel geliefert, welchen Stellenwert die Sammlung und Analyse von Massendaten bei dem Konzern hat, der die Statik des weltweiten Handels schon beachtlich erschüttert hat. Dieser globale Riese zieht sein Konzept konsequent durch. Der stationäre Handel, ganz gleich ob B2C oder B2B, wird sich auch auf diesem technologischen Gebiet positionieren müssen. Es bleibt spannend.
[1] https://en.wikipedia.org/wiki/Keedoozle
[2] https://t3n.de/news/amazon-baut-amazon-go-technologie-1260995/