Schon vor dem Lockdown: Bedrohungen (nicht nur) für den Technischen Handel
Wenn der Rückenwind einer gut laufenden Konjunktur ausbleibt, wiegen Defizite bei der Digitalisierung schwerer. KMU, gleich welcher Branche, können die Aufgaben kaum allein stemmen.
Betrachtungen zum Interview mit dem VTH-Geschäftsführer Thomas Vierhaus in der Frühjahrs-UPtoDATE
Die wohl größte Herausforderung neben dem alltäglichen Wettbewerbsgeschehen war – vor dem Shutdown – der digitale Wandel und dessen Umsetzung im Großhandel. Wir haben uns wiederholt mit dem Thema auseinandergesetzt [1].
Für das einzelne Unternehmen mag es beim aktuell vollzogenen Neustart (nach der Vollbremsung aus noch recht hohem Tempo!) akut schwerwiegendere Probleme geben – das Digitalisierungsthema ist aber nicht vom Tisch. Im Gegenteil! Der Wettbewerbsvorteil, den innovative Unternehmen vor dem Lockdown hatten, wird sich jetzt eher vergrößern, weil deren Handlungsspielraum größer ist. Wer dagegen mit dem Rückenwind einer über Jahre hinweg gut laufenden Konjunktur am jeweiligen Status Quo nichts oder nur wenig verändert hat, gerät jetzt sehr wahrscheinlich in eine Klemme: Auf der einen Seite drückt die drohende Rezession, auf der anderen Seite ein nicht mehr aktueller Stand der Digitalisierung, sprich: ein Innovationsstau. Beides schränkt den Handlungsspielraum massiv ein. Auch das Wettbewerbsumfeld könnte sich durch noch aggressiver auftretende reine Internet-Händler (Pure-Player) oder Plattformen verändern, was zusätzlichen Druck bringt.
Was der VTH-Geschäftsführer Thomas Vierhaus vor der Corona-Krise im UPtoDATE-Interview [2] für den Technischen Handel feststellt, dürfte sich für den gesamten Großhandel kaum anders darstellen. Ein Auszug:
Frage: Wie ist die Situation im Technischen Handel aktuell? Sind sich alle Händler der Bedeutung der gegenwärtigen Entwicklung bewusst? (Bedrohung durch Amazon Business, Direktzugang zum Endkunden durch Hersteller, Pure-Player, Plattformen wie Toolineo, bessere Preistransparenz für den Endkunden, Bedürfnisse des B2B-Kunden durch B2C-Erfahrungen geprägt usw. …)
Thomas Vierhaus: Die Situation ist durchaus als beunruhigend zu bezeichnen. Alle von Ihnen genannten Entwicklungen zusammengenommen summieren sich zu einer ernsthaften Bedrohung für den Technischen Handel auf. Die VTH-Mitglieder, die sich regelmäßig in unserem Netzwerk informieren, unsere Veranstaltungen besuchen und unsere Nachrichten lesen, wissen allerdings sehr genau über die aktuellen Herausforderungen Bescheid. Parallel beobachten die Technischen Händler den Wettbewerb und kommunizieren tagtäglich mit ihren Kunden. So lernen sie die Strategien ihrer Konkurrenten sowie die vorhandenen Wünsche, Erwartungen und Ansprüche ihrer verschiedenen Abnehmergruppen unmittelbar und ungefiltert kennen. Mithin kann sich wirklich niemand auf eine Erkenntnislücke berufen und behaupten, die jüngsten Veränderungen seien für ihn überraschend gekommen. Und es kann sich absolut kein Betrieb in völliger Sicherheit wiegen, dass ihn die Auswirkungen nicht betreffen werden. [ebenda]
Die Beunruhigung des VTH-Chefs teilt, wer sich mit dem Thema „Großhandel unter Digitalisierungsdruck“ beschäftigt. Und das gilt eben nicht nur für den Teilbereich des Technischen Großhandels. „Regelmäßige Informationen im VTH-Netzwerk“, „tagtägliche Kommunikation mit Kunden“, „Konkurrenzbeobachtung“ – alles bewegliche Punkte auf dem „Radarschirm“ einer Unternehmensführung. So war es schon immer, doch ändern sich die Einflüsse auf Tempo und Richtung dieser Bewegungen – um im Bild des Radars zu bleiben. Und es treten weitere Punkte in Erscheinung, für deren Beobachtung es auch einer Vergrößerung des Radarschirms bedarf.
Ein schon immer wichtiges Thema wird nach (nicht nur) unserer Einschätzung durch die gegenwärtige Situation und ihre Folgen ganz klar an Bedeutung gewinnen: Die Vernetzung innerhalb der Branche, mittels Verbänden und dergleichen mehr. Gerade kleinere Unternehmen mit einem über Jahre angestauten Nachholbedarf stehen zunehmend verunsichert der sich beschleunigenden Entwicklung gegenüber. Zum ERP-System mit seiner Rückgratfunktion und bei den meisten technischen Problemstellungen können wir als Softwarehersteller und IT-Systemhaus Unterstützung anbieten. Doch es braucht mehr, wie Thomas Vierhaus zumindest für seine Branche – den Technischen Handel – immer wieder angemahnt hat: Die Auseinandersetzung mit der Frage, was überhaupt ein Geschäftsmodell ist und wie es digitalisiert werden kann [3]. Bei diesen fundamental wichtigen Themen ist die Unterstützung durch Berater und/oder Verbände mehr oder weniger – bitte jetzt nicht durch die oft politische Inanspruchnahme des Begriffs abschrecken lassen – alternativlos. Was meinen Sie?
[1] UPtoDATE August 2019
UPtoDATE Dezember 2019
[2] Zum Weiterlesen (Seite 4 bis 7)
[3] Beitrag Thomas Vierhaus LinkedIn [abgerufen am 15.06.2020 / 14:00]